Regionalliga, 2. Relegationsspiel


FC Energie Cottbus - Hannover 96 3:1 (1:1)




96: Sievers - Rasiejewski - Ernst (67. Germann), Dworschak - Weiland (59. Milovanovic), Hecking, Dermech, Addo, Linke - Asamoah (77. Manzi), Kovacec

Tore: 1:0 Hoßmang (39.), 1:1 Ernst (44.), 2:1, 3:1 Irrgang (72., 87.) - Zuschauer: 21.000


96 steht nach Nervenschlacht mit leeren Händen da

Aus und vorbei. Hannover 96 hat die Aufstiegschance vergeben. Trotz einer großen, kämpferischen Leistung verlor die Mannschaft das entscheidende Spiel bei Energie Cottbus mit 1:3 (1:1).

Nein, es war kein normales Fußballspiel, es war eine Nervenschlacht, ein Spiel mit Emotion und Leidenschaft. Und mit einer Kuriosität: Um 21.38 Uhr fiel ein Teil des Cottbuser Flutlichts aus, zwölf Minuten mußten beide Teams warten, ehe der Schaden behoben war und die Partie wieder angepfiffen werden konnte. Wie gesagt, ein kurioser, außergewöhnlicher Fußballabend mit einer 96-Elf, die alles gab und am Ende mit leeren Händen dastand, weil sie sich in der 2. Halbzeit in trügerischer Sicherheit wiegten und sich in diesem Gefühl eine entscheidende Nachlässigkeit erlaubte.

Wie zwei Schwergewichtsboxer in der letzten Runde bekämpften sich Energie Cottbus und Hannover 96. Kaum ein Zweikampf ohne Nickeligkeit, kaum ein Duell, das nicht Anlaß zu hitzigen Diskussionen gab: Foul oder fair vom Ball getrennt - Schiedsrichter Georg Dardenne, ein umsichtiger, unaufgeregter Leiter, mußte Schwerstarbeit leisten.

Es war ein Spiel zum mitzittern, zum mitfiebern, eine Begegnung, die 21 000 Zuschauer im Cottbuser Stadion der Freundschaft mitriß und niemanden kalt ließ. War das Hinspiel im Niedersachsen-Stadion schon nichts für zartbesaitete Gemüter, dieses alles entscheidende Spiel war ein dramatisches Duell zweier Teams, die bis an ihre Grenzen gingen. Vor der Haupttribüne baute sich Energie-Trainer Geyer auf und betätigte sich schon der in der 1. Halbzeit als Anheizer, der ein ohnehin fanatisches Publikum noch weiter anstachelte.

Hannover 96 spielte in der Anfangsformation ohne Vladan Milovanovic, stellte sich aber vor allem in der Defensive sehr geschickt an. Trainer Reinhold Fanz hatte, anders als im Hinspiel, Jens Rasiejewski auf die Liberoposition beordert und damit ein gutes Händchen. Rasiejewski bot eine überragende Leistung, glänzte als Abräumer und Ankurbler. Weil auch die Manndecker Dworschak und Ernst ihre Gegenspieler gut im Griff hatten, blieb Cottbus in der Offensive vieles schuldig. Immer wieder gelang es den Hannoveranern, das Tempo aus dem Spiel zu nehmen und den Ball im Mittelfeld zu halten.

Otto Addo und Gerald Asamoah erwiesen sich dabei als geschickte Fallensteller. Durch mutige Dribblings sorgten sie nicht nur für Entlastung, sondern provozierten die Energie-Spieler zu Foulspielen. Allein vier Cottbuser sahen in der 1. Halbzeit die Gelbe Karte.

Daß die Lausitzer dennoch in Führung gingen, hatte mehr mit Glück als mit Können zu tun. Libero Thomas Hoßmang schoß bei einem Freistoß zwar in die Mauer, der Ball wurde von einem 96er jedoch so unglücklich abgefälscht, daß er unhaltbar für den famosen Jörg Sievers zum 1:0 ins Netz trudelte (39.). Die Hannoveraner waren geschockt, doch auch ihnen klopfte Fortuna kräftig auf die Schulter. Fabian Ernst, dieser 18jährige mit der Frechheit eines 30jährigen Routiniers, faßte sich Sekunden vor der Halbzeit ein Herz und zog aus spitzem Winkel ab. Energie-Torhüter Kay Wehner ließ den Ball jedoch durch die Händen rutschen, und wie beim 1:0 rollte er über die Linie: 1:1 in der 44. Minute - Fußballer sprechen da von einem psychologisch wichtigen Treffer.

Die 2. Halbzeit, sie wurde für die Hannoveraner zu einem gefährlichen Vabanquespiel, in dem es darum ging, das rettende 1:1 zu verteidigen, ohne sich nur in die Defensive drängen zu lassen. Bis zur 72. Minute machte die Mannschaft das meisterlich, doch eine kleine Unachtsamkeit machte die Arbeit von einer Saison und den letzten 180 Minuten kaputt. Cottbus, nach einer Gelb-Roten Karte von Melzig in Unterzahl, versuchte alles und profitierte von einer Unachtsamkeit in der hannoverschen Abwehr: Melzig war gerade vom Platz, da tauchte Irrgang, so mutterseelenallein vor dem 96-Tor auf, daß das 2:1 für Cottbus ein Kinderspiel war. Nach Irrgangs 3:1 war 96 endgültig am Boden und stand nicht mehr auf.

Die Höhepunkte/1. Halbzeit Die Höhepunkte/2. Halbzeit
6. Minute:

Die erste Chance des Spiels hat Cottbus, aber Linke klärt vor Konetzke

11. Minute:

Ein Weitschuß von Irrgang landet auf der Latte, kurz darauf rettet Dworschak bei einem Schuß von Kronhardt.

16. Minute:

Erste Chance für 96, doch Energie-Torwart Wehner hat mit einem Linke-Schuß kaum Probleme.

23. Minute:

Irrgang tritt 96-Torwart Sievers gegen den Ellenbogen, doch der Routinier kann nach kurzer Behandlung weiterspielen.

27. Minute:

Otto Addo bringt Kovacec in Position, doch dessen Schuß lenkt Melzig zur Ecke.

30. Minute:

Melzig setzt sich in einem Kopfballduell gegen Dermech durch, doch Sievers hält sicher.

36. Minute:

Energie-Offensivspieler Jens-Uwe Zoepfel zieht aus 20 Metern ab, Torwart Sievers kann den Aufsetzer nur mit letztem Einsatz um den Pfosten lenken.

38. Minute:

1:0. Einen Freistoß von Energie-Libero Hoßmang aus rund 20 Metern fälscht Niclas Weiland unhaltbar für Torwart Sievers ins eigene Netz.

44. Minute:

1:1. Fabian Ernst faßt sich aus halblinker Position ein Herz und zieht ab, Torwart Wehner rutscht der Ball aus den Händen hinter die Linie.

50. Minute:

Freistoß für Cottbus dicht vor dem hannoverschen Strafraum. Wieder läuft Hoßmang an, doch sein Flachschuß bleibt in der Mauer hängen.

59. Minute:

Freistoß von dem gerade eingewechselten Milovanovic fast von der Torauslinie. Addo und Dermech grätschen am Ball vorbei.

61. Minute:

Schiedsrichter Dardenne unterbricht die Partie. Ein Teil der neuen Flutlichtanlage im Stadion der Freundschaft war ausgefallen. Die Begegnung mußte für rund zehn Minuten unterbrochen werden.

71. Minute:

Der Ball liegt im Cottbuser Tor, doch der Treffer zählt nicht: Milovanovic stand nach einer Flanke von Kovacec im Abseits.

72. Minute:

Gelb-Rote für Jens Melzig nach einem Foul an Otto Addo.

73. Minute:

2:1 für Cottbus. Der eingewechselte Zimmerling hat sich rechts durchgespielt, seine Hereingabe braucht Detlef Irrgang nur noch einzuschieben.

75. Minute:

Der Ball ist wieder im Cottbuser Netz, doch wieder kein Tor, Kovacec hatte zuvor das Bein zu hoch.

81. Minute:

Kovacec schießt aus guter Position, doch Kronhardt wirft sich im letzten Moment dazwischen.

86. Minute:

Die Entscheidung: Irrgang umspielt die gesamte 96-Abwehr und erzielt im Nachschuß das 3:1.

96 in der Einzelkritik

Rasiejewski spielt einen Super-Libero

Jörg Sievers:

Der 96-Keeper hatte wider Erwarten wenig zu tun, war aber immer Herr der Lage. Konnte das Gegentor nicht verhindern, da der Ball abgefälscht wurde. Zeigte eine klasse Parade bei einem Freistoß von Hoßmang.

Jens Rasiejewski:

Spielte einen Super-Libero. Marschierte, wenn Gelegenheit war, bügelte Fehler seiner Mitspieler aus und drosch den Ball bei Bedarf auch einmal aus der Gefahrenzone.

Matthias Dworschak:

Hatte diesmal etwas mehr Probleme mit dem laufstarken Konetzke, machte dennoch ein ganz starkes Spiel.

Fabian Ernst:

Der Schütze des wichtigen 1:1 war wie schon im Hinspiel einer der besten 96er. Er hatte Seifert jederzeit im Griff. Der 18jährige Manndecker ließ sich von der Hektik überhaupt nicht anstecken.

Niclas Weiland:

Der 24jährige hatte den Vorzug gegen Vladan Milovanovic bekommen, konnte sich aber nie in Szene setzen. Ließ sich von dem überharten Einsteiger der Cottbuser einschüchtern.

Dieter Hecking:

Arbeitete viel in der Defensive, konnte Zoephel aber nicht ganz ausschalten.

Fahed Dermech:

Spielte mitunter übernervös, leistete sich wie schon im Hinspiel einige Fehlpässe. Manchmal fehlte ihm die letzte Konsequenz im Zweikampf. Kämpfte aber unermüdlich.

Carsten Linke:

Der 96-Kapitän mußte im Gegensatz zum Hinspiel viel öfter hinter Irrgang herlaufen als umgekehrt. Verlor viele Zweikämpfe.Otto Addo:

Hielt geschickt den Ball, ließ sich weder von den rassistischen Äußerungen der Zuschauer noch von den unfairen Attacken seines Gegenspielers Schneider beirren.

Gerald Asamoah:

Ging keinem Zweikampf aus dem Weg, schonte weder sich noch den Gegner. Bereitete Melzig, dem angeblich besten Manndecker der Regionalliga Nordost, sehr viel Mühe.

Kreso Kovacec:

Wurde von Benken völlig abgemeldet. Vergab einige verheißungsvolle Freistoßchancen leichtfertig.

Vladan Milovanovic:

Kam in der 57. Minute für Weiland. Fügte sich gleich mit einem herrlichen Freistoß ein, an dem Asamoah und Dermech nur knapp vorbeirutschten.

Stimmen zum Spiel

"Das ist schlimmer als der Abstieg"

Reinhold Fanz (96-Trainer):

"Wir wußten, daß eine Mannschaft auf der Strecke bleibt. Wir haben das 1:1 lange gehalten, es sah lange gut aus. Ich kann meiner Mannschaft nichts vorwerfen, sie hat sehr gut gespielt. Trotzdem herrscht jetzt bei uns erst einmal Trauerstimmung. Ich wünsche Cottbus alles Gute für die 2. Liga."

Eduard Geyer (Energie-Trainer):

"Vor der Partie habe ich genau so gezittert, wie die Spieler. Wir haben 90 Minuten bis zum Umfallen gekämpft. Es ist ein toller Abschluß eines wundervollen Jahres, wir sind unheimlich stolz."

Hans Wöbse (96-Vorstandsvorsitzender):

"Wir haben schnell den Ausgleich gemacht, danach das Spiel kontrolliert, bis diese Unterbrechung kam. Die Mannschaft hat sich dann hinten reindrängen lassen, so daß die Tore zwangsläufig fallen müssen."

Kaschi Mülhausen (96-Vorstandsmitglied):

"Eine unglückliche Niederlage, wenn man sieht, wie die Tore gefallen sind. Wir mußten das Spiel gewinnen. Wenn ich nur an den Milovanovic-Freistoß denke, an dem gleich zwei unserer Stürmer vorbeigerutscht sind."

Carsten Linke (96-Kapitän mit Tränen in den Augen):

"Das war viel, viel schlimmer als der Abstieg. Ich kann nur unseren Fans für die Unterstützung danken und versprechen, daß wir es im nächsten Jahr schaffen."

Toralf Konetzke (Energie-Stürmer):

"Ich kann das alles erst später begreifen".

Hans-Joachim Franck (96-Vorstandsmitglied):

"96 war klar die bessere Mannschaft. Es gab keinen einzigen Ausfall. Die Cottbuser Gangart ging über das Maß des Erlaubten hinaus. Nach dem 1:1 und der Herausstellung haben wir zu leichtsinnig agiert."

Reinhold Sauer (96-Aufsichtsratsmitglied):

"Das war heute ein Spiel Technik gegen Kampf, und die Kampf-Mannschaft hat gewonnen. Am Ende wurde 96 aufgrund zweier Abwehrfehler um die Arbeit einer ganzen Saison gebracht. Wir werden jetzt intern über das eine oder andere diskutieren, um zu neuen Ufern aufzubrechen. Es gibt keine Krise bei Hannover 96, es gibt nur unterschiedliche Auffassungen."

(Quelle: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 06.06.97)


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