Hannover 96 | 2. Bundesliga 98/99, 5. Spieltag |
FC Gütersloh - Hannover 96 2:1 (1:0) |
96: Sievers - Hecking - Linke, Baschetti - Lala, Rasiejewski, Reinhardt (65. Gerber), Addo, Kreuz - Asamoah, Kobylanski (75. Messinese) / Trainer: Fanz
Tore: 1:0 Stendel (8.), 2:0 Tschiedel (46.), 2:1 Lala (61.) - Zuschauer: 8 000
Auf der A2 wurde das beliebte Spiel Kennzeichenraten langweilig. Der Anfangsbuchstabe H für Hannover war der Renner. Sogar ein grüner Motorroller mit den Endziffern 96 auf dem Nummernschild tuckerte über die Autobahn in Richtung Gütersloh. Er hatte etwa Tempo 65 drauf, macht zwei Stunden Fahrt für die 130-Kilometer-Strecke. Gelohnt hat sich der Sonntagsausflug für den Roller-Piloten und knapp 4000 weitere Fans aus Hannover aber nicht. Aufsteiger 96 verlor vor 8500 Zuschauern im Heidewaldstadion mit 1:2. Es war im vierten Saisonspiel die zweite Niederlage hintereinander.
Auch ein alter Bekannter hatte zugesehen. Hermann Gerland, Trainer von TB Berlin, spionierte vorm Pokalspiel gegen 96 am kommenden Freitag (19 Uhr, Mommsenstadion). Jeden Tag eine gute Tat - dieses Pfadfinder-Motto beherzigten die Hannoveraner. Weil sie dem FC Gütersloh die drei Punkte überließen, durfte dessen Trainer Hannes Linßen seinen Job behalten. Der Fußballehrer mit der Springbrunnenfrisur hatte vor der Beurlaubung gestanden.
Die 96-Profis agierten bisweilen auch brav wie die Pfadfinder. Und sahen sich schon nach acht Minuten im Rückstand. Es war 15.14 Uhr - die Partie hatte wegen des hannoverschen Fan-Andrangs mit sechs Minuten Verspätung begonnen - als Daniel Stendel auf Torwart Jörg Sievers zulief und mühelos vollendete. Stendels Gegenspieler Mirko Baschetti hatte geschlafen, auch Altin Lala (spielte für den angeschlagenen Blank) kam zu spät. Erst langsam wachte 96 auf und erarbeitete sich Chancen. Andrzej Kobylanski köpfte um Zentimeter vorbei; Gerald Asamoah trickste alles aus, was sich ihm in den Weg stellte - schoß aber Schlußmann Michael Kraft in die Arme. Und die Roten (sie hatten diesmal wirklich rote Trikots an) mußten weiter höllisch aufpassen", wie Trainer Reinhold Fanz schon vorm Spiel gewarnt hatte. Denn Gütersloh - insbesondere Stürmer Stendel - blieb gefährlich. Gleich nach der Pause schien die Partie für 96 endgültig verloren. FC-Libero Jens Tschiedel traf nach einem Freistoß mit einem Direktschuß den Innenpfosten - von dort sprang die Kugel zum 2:0 ins Netz. Wars das? Mitnichten. Die vermeintlichen Pfadfinder aus Hannover fanden plötzlich den Weg zum Tor des Ex-Kölners Kraft. Erst köpfte Otto Addo eine Handbreit drüber (51.), dann stand Lala plötzlich frei im Strafraum und machte das Spiel mit seinem Anschlußtreffer wieder spannend (61.). Aber es reichte nicht mehr zum Punktgewinn, weil Kraft in der Schlußphase zwei Kreuz-Schüsse prächtig parierte. Nachher bliebs auf der A2 ruhig. Zu Hupkonzerten von begeisterten Hannoveranern bestand kein Anlaß.
Die Reaktionen:
96-Trainer Reinhold Fanz: Wir wollten unbedingt einen Punkt mitnehmen. Mit etwas Glück hätten wir das in der Schlußphase schaffen können. Wir haben das Spiel durch individuelle Fehler verloren.
Güterslohs Trainer Hannes Linßen: Meine Mannschaft hat fanatisch gekämpft, Glück hatten wir auch. 96 hat eine spielstarke Mannschaft.
96-Vorsitzender Martin Kind: Das kostet uns einige Zuschauer im nächsten Heimspiel gegen den 1. FC Köln.
Dieter Hecking: Daß wir eine gute Mannschaft haben - dafür können wir uns nichts kaufen. Wir waren 70 Minuten in Ballbesitz und haben keine Punkte.
Jens Rasiejewski: In der zweiten Liga darf man sich solche Fehler nicht erlauben.
Die Einzelkritik:
Jörg Sievers: Hielt, was zu halten war. Zweimal war nichts zu halten.
Dieter Hecking: Ohne Fehler, heckte aber auch nichts Überraschendes aus.
Carsten Linke: Diesmal stärker als Baschetti.
Mirko Baschetti: Wirkte beim 0:1 so orientierungslos, als hätte man ihn vorher in eine Waschmaschine eingesperrt und den Schleudergang eingeschaltet. Es war sein einziger Fehler - ein entscheidender.
Bastian Reinhardt: Mitschuldig am 0:2, weil zu weit weg von Güterslohs Libero Tschiedel. Probleme im Mittelfeld mit Weidemann.
Jens Rasiejewski: Spielte oft zu umständlich. Er kanns besser.
Altin Lala: Beim 0:1 auch nicht im Bilde, bei seinem Anschlußtreffer um so mehr.
Otto Addo: So finden ihn die Fans wieder einigermaßen gut. Startete ein paarmal grimmigen Blickes Richtung Tor des Gegners. Er ist aber noch nicht ganz der alte.
Markus Kreuz: Kreuzgefährlich in der Schlußphase. Gehörte gewiß nicht zu den schwächeren Hannoveranern.
Andrzej Kobylanski: Besser als in Unterhaching. Kämpfte aber glücklos.
Gerald Asamoah: Sensationell stark am Ball. Wirbelte aber manchmal wie ein überdrehter Brummkreisel über den Rasen. Vorm Tor zu ungefährlich.
Fabian Gerber: Wieder eingewechselt - diesmal für Reinhardt. Als Teilzeitarbeiter offenbar erste Wahl.
Guiseppe Messinese: Der kleine Italiener löste seinen polnischen Stürmerkollegen Kobylanski ab. Hatte aber auch kein Glück.
Westfalenblatt (Ausgabe Gütersloh): Gekämpft, gezittert, gewonnen. Zweitligist FC Gütersloh meldet (endlich) sein erstes Erfolgserlebnis, setzte sich gegen den starken Aufsteiger Hannover 96 - zugegebenermaßen - ein wenig glücklich mit 2:1 durch.
Neue Westfälische (Gütersloh): Endlich mal kein Gegner, der sich hinten reinstellt - im Gegenteil: Das Spiel machte Hannover, der FCG hielt dagegen und startete einen Konter nach dem anderen.
Kicker: Aufsteiger Hannover kehrt nach der zweiten Niederlage in Folge auf den Boden der Tatsachen zurück.
Bild (Hannover): Aufwachen, Hannover 96! Es ist 2. Liga. Aufstiegs-Jubel, die Start-Siege gegen die Bundesliga-Absteiger Karlsruhe und Bielefeld (je 1:0) - alles Vergangenheit.
Hannoversche Allgemeine Zeitung: Die Hannoveraner hatten zwar weitaus mehr Spielanteile, doch in den entscheidenden Momenten waren die Gütersloher immer den berühmten Schritt schneller.
(Quelle: Neue Presse, 24.08.98)