Hannover 96 |
96, deine Stars |
Steven Cherundolo
Cherundolo will mit
Gottes
Das war verdammt knapp. Beinahe hätte 96 auf Steven Cherundolo verzichten müssen, obwohl der Transfer in den frühen Januar-Tagen 1999 schon vertraglich geregelt war. Doch am 5. Januar starb Vater Richard in San Diego an Krebs – viel zu früh, mit 53 Jahren. Cherundolo junior, damals 19, litt schwer unter dem Verlust: „Ich wollte eigentlich nicht mehr weg, sondern nur noch bei meiner Familie sein“, erinnert er sich. Die Familie, das sind Mutter Ann (55), die Schwestern Gina (33) und Kristie (30) sowie Bruder Richard (26), den alle Ricky nennen. Ihnen fühlt er sich noch immer ganz nah, obwohl sie viele tausend Kilometer entfernt in Kalifornien und Chicago (Gina) leben. Probleme und Ängste, Erfolge und Freude teilt er mit ihnen in langen Telefonaten: „Ich spreche mit jedem mindestens einmal pro Woche.“ Gut also, dass die Gespräche nach Übersee „so billig geworden sind. 6,5 Cent pro Minute.“ In der Krise nach dem Tod des Vaters drängten ihn Mutter und Geschwister, die berufliche Chance in Europa nicht einfach aufzugeben. „Sie haben gesagt: Du musst das machen, das ist dein Weg, deine Berufung.“ Am 10. Januar 1999 kam Cherundolo also nach Hannover, „ich habe meine Familie sehr vermisst“. Ein Zurück gab es aber nicht mehr. „Wenn ich etwas machen will, dann setze ich mich auch durch. Das ist Ehrensache, ich kann einfach nicht aufgeben.“ Dabei hilft ihm auch sein katholischer Glauben, der für ihn wie „ein Fundament“ ist. Früher besuchte Cherundolo jede Woche den Gottesdienst der Gemeinde „Our Lady of Mount Carmel“ in San Diego, in Deutschland ist er zum sporadischen Kirchgänger geworden. „Ich gehe nicht gerne alleine“, schon gar nicht aus dem Pflichtgefühl heraus, „dass man jetzt unbedingt muss“. So hält er es auch mit dem Beten, „das mache ich, wenn ich es brauche und Probleme oder einfach Lust dazu habe“. Ernste Schwierigkeiten hatte Cherundolo bei 96 nie, abgesehen von der Phase nach seinem Kreuzbandriss im März 2000. Er war schon bei Horst Ehrmantraut wie nun auch bei Ralf Rangnick Trainers Darling und erfüllt mit seinem sonnigen Gemüt so ganz das Bild vom pflegeleichten Sonnyboy. Alle lieben ihn, vor allem die jungen weiblichen Fans, wofür er sich zu entschuldigen sucht: „Ich kann ja nichts dafür.“ Zum Star fühlt er sich ohnehin nicht berufen, Cherundolo will „lieber klein und ruhig bleiben. Ich möchte nicht regelmäßig in der Öffentlichkeit stehen, und alle erfahren, was gut und was schlecht an meinem Privatleben ist wie bei Jan Simak.“ Einverstanden, zu Skandalen taugt er eh nicht, ein Star ist der US-Nationalspieler zumindest aus hannoverscher Sicht aber längst geworden. Sein Weg dorthin begann im Alter von fünf Jahren in einer der wilden amerikanischen Jugend-Ligen, in einer Mannschaft ohne Trainer und Verein. Mit elf stieg er bei den San Diego Nomads ein, dem besten Verein der Stadt. Die Eltern zahlten 500 Dollar Mitgliedsbeitrag im Jahr – in Deutschland unvorstellbar. Dafür aber war die Betreuung und Ausbildung erstklassig. Eigentlich aber verbrachte Cherundolo „mit meinen besten Freunden noch mehr Zeit beim Baseball. Den Sport fand ich supergeil.“ Mit 14 aber kam die Einsicht: „Fußball ist doch besser.“ Und Cherundolo war früh einer der Besten in den USA. Mit 16 spielte er für Kaliforniens Jugend-Auswahl, mit 17 in der U-18-Nationalelf der USA. Inzwischen hat er es auf zehn Einsätze in der Nationalmannschaft gebracht. Als Nachrücker flog er im Mai sogar mit zur WM nach Südkorea. Die Angst vor Anschlägen war ein ständiger Begleiter der US-Elf, obwohl das Team „von sehr viel Polizei, vom CIA und FBI“ abgeschirmt wurde. „Man sollte sich sicher fühlen, aber ich habe immer über meine Schulter geguckt, weil ich dachte, es könnte etwas passieren.“ Ist es nicht, doch Cherundolo verletzte sich im Training früh am Knie und spielte nicht einmal. Inzwischen ist er wieder weitgehend hergestellt und hat seinen Stammplatz rechts hinten in der 96-Elf so sicher wie die CSU den nächsten Wahlsieg in Bayern. Er will mit 96 „erst mal die Klasse halten“. Mit Gottes Hilfe. |
|
(Quelle: Neue Presse. 27. Juli 2002)