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Dariusz Zuraw
Unglaublich,
Puh. Dieser emotionslose Gesichtsausdruck. Dariusz Zuraw wirkt zuerst so kühl und distanziert. Die Verteidigung steht. Und der Fragesteller fühlt sich wie einer dieser hilflosen Angreifer, die in der vergangenen Spielzeit an dem kantigen Polen abgeprallt sin . Die Karriere scheint schnell aufgearbeitet. Ja, es ist „immer aufwärts gegangen“, von der fünften Liga unaufhaltsam bis in die erste. Schön, aber unspektakulär. Wir wollen es schon mit ausschweifenden Fragen über die Flügel versuchen, um hinter seine Abwehr zu kommen, als Zuraw uns mit dieser unglaublichen Geschichte überrascht: Eigentlich habe er immer Handball gespielt, zum Vereinsfußball sei er „nur durch einen Zufall gekommen“, erfahren wir – und zwar nicht als Fünf- oder Achtjähriger, sondern erst im Alter von 18 Jahren. Nicht zu fassen. Da sprechen alle vom Jugend-Konzept der Zukunft mit Fußball-Internaten und einer technisch-taktischen Ausbildung von Kindesbeinen an. Doch dieser ungewöhnliche Profi hat die erstklassige Qualifikation beim sporadischen Kick mit den Kumpels erworben – ganz ohne Druck. „Eines Tages habe ich mir ein Spiel in der fünften Liga angesehen“, erinnert er sich. „Der einen Mannschaft fehlte ein Spieler, und da hat mich der Trainer einfach gefragt, ob ich nicht aushelfen kann.“ Zuraw half so gut, dass er gleich einen Vertrag bei LZS Ostrowek bekam. Es folgte also der Aufstieg über vier Stationen bis hin zum Erstligisten Zaglebie Lubin. Im vergangenen Jahr lief dort sein Vertrag aus, und weil Polen sich dem gängigen Transferrecht in der UEFA anschloss, schien ein ablösefreier Wechsel so einfach. Es gab verschiedene Offerten aus Polen und Österreich. „Ich saß schon auf gepackten Koffern, da kam der Anruf aus Hannover. Es musste ganz schnell gehen.“ Das war im Juli 2001. Zuraw war stolz auf den Vertrag in der zweiten Bundesliga und malte sich eine rosarote Zukunft mit der Familie in Deutschland. Seine Frau Justyna (heute 28) kam wenig später mit den Söhnen Szymon (8) und Hubert (4) nach Hannover, die Zuraws bezogen eine Wohnung in Hemmingen. Szymon wurde hier eingeschult – einen Monat später aber war für ihn schon wieder Schluss an der fremden deutschen Lehranstalt. 96 schickte Zuraw zurück in die Heimat, weil Lubin doch eine Ablöse in Millionenhöhe forderte und Hannover einen ablösefreien Transfer juristisch nicht durchsetzen konnte. Beim Abschied im Frühherbst 2001 flossen viele Tränen, „das war eine Tragödie für die ganze Familie“, weiß Konditionstrainer Edward Kowalczuk, der sich um seinen Landsmann kümmert. Im Oktober einigte sich 96 mit Lubin auf die Ablöse, Zuraw kehrte zurück nach Hannover. Seine Frau jedoch blieb mit den Kindern in Wielun, einer Kleinstadt in Zentralpolen (zwischen Breslau und Warschau). Das Bild vom coolen Abwehrspieler war nur eine Momentaufnahme, das spüren wir bei diesem traurigen Thema. In Wahrheit ist Zuraw doch ein eher sensibler Mensch. „Es ist schwer für mich so alleine hier“, sagt er. „Ich habe oft mit meiner Familie gesprochen. Aber nach dem ganzen Hin und Her haben die Kinder nun Priorität.“ Ein Jahr will er sich nun als Strohwitwer bei 96 durchbeißen. „Dann aber muss meine Familie endlich kommen.“ Falls Zuraw denn 2003 einen Anschlussvertrag bei 96 erhält. „Die neue Saison“, weiß er daher, „ist unheimlich wichtig für mich.“ Seine Chancen auf einen Stammplatz und eine erfolgreiche Spielzeit stehen nicht schlecht. Aber die Verteidigung muss natürlich stehen. |
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(Quelle: Neue Presse. 22. Juli 2002)