Hannover 96 | Saison 2002/03, 2. Spieltag |
Hannover 96 - TSV 1860 München 1:3 (1:2) |
Hannover 96: Sievers - Cherundolo, Linke, Zuraw, van Hintum - Lala, Krupnikovic - Stajner - Stendel, N'Kufo, Stefulj / Trainer: Rangnick
1860 München: Jentzsch - Pürk, Costa, Ehlers, Cerny - Hoffmann - Weissenberger, Borimirov - Häßler - Max, Schroth / Trainer: Pacult
Eingewechselt: 65. Schuler für van Hintum, 74. Kaufman für N'Kufo, 80. N'Diaye für Stendel - 65. Meyer für Ehlers, 80. Lauth für Häßler - Reservebank: Ochs (Tor), Diouf, Oswald, de Guzman - Hofmann (Tor), Schwarz, Wiesinger, Agostino, Pfuderer
Tore: 0:1 Borimirov (6., Kopfball, Vorarbeit Weissenberger), 1:1 Stajner (28., Kopfball, Stendel), 1:2 Max (41., Rechtsschuss, Schroth), 1:3 Lauth (90., Rechtsschuss, Schroth) - Schiedsrichter: Jansen (Essen) - Zuschauer: 42 123 - Gelbe Karten: Hoffmann, Lauth, Meyer
Zu brav - 96 macht Hannover nüchtern
Es war wohl Trotz, der die treuen Fans in Block H 31 zu diesem Ständchen bewegte: „Wir sind stolz auf unser Team aus Hannoooover”, sangen sie fünf Minuten vor Schluss. Damit wurde aber keinesfalls die beherrschende Gemütslage der 42.123 Zuschauer repräsentiert, sie war von Euphorie und Vorfreude in Trübsinn und Verdruss umgeschlagen. Es wurden erste ernste Zweifel an der Erstligatauglichkeit dieser 96-Elf laut. Zu dieser Zeit, es stand 1:2, war den 96-Profis längst die Puste ausgegangen, und so enttäuschten sie auch die Hoffnung auf eine vehemente Schlussoffensive. Die Löwen kamen durch Lauth in der Nachspielzeit zum 1:3. 96-Trainer Ralf Rangnick hatte ohnehin wieder „eine wesentlich bessere erste Halbzeit” seiner Elf mit „einer klaren Dominanz” gesehen. Eine Hand voll vager Chancen entstand nach demselben Strickmuster. Nebojsa Krupnikovic spielte aus dem zentralen Mittelfeld auf Daniel Stendel, und der flankte – zu oft an seinen Sturmkollegen vorbei. Einmal allerdings ging es gut: Jiri Stajner traf mit dem Kopf zum zwischenzeitlichen 1:1 (27.). Es war sein erstes Bundesligator, die Hoffnung lebte. Mittelstürmer Blaise N‘Kufo jedoch scheint das Gespür für torgefährliche Strafraumszenen abzugehen. Und Danijel Stefulj („für mich ist das kein Problem”) ist auf der linken Stürmerposition schlicht fehlbesetzt. Möglicherweise muss Rangnick ihn fortan ins Mittelfeld zurückziehen und auf das etwas defensivere 4-4-2-System umstellen. Auch das permanente Pressing ist gepaart mit dem mutigen Anrennen auf des Gegners Tor bei dem hohen Tempo in der ersten Liga kaum durchzuhalten. „Das schaffen wir einfach nicht”, weiß Altin Lala, und es wundert wenig, dass 96 in Hamburg (1:2) und nun gegen 1860 spätestens nach einer Stunde die Kraft ausging.
Münchens Markus Weissenberger zweifelt auch daran, dass 96 mit seiner
phasenweise hohen Spielkultur Erfolg haben wird: „Wenn du in der Bundesliga
als Aufsteiger mitspielen willst, wirst du ausgekontert”, so geschehen beim
vorentscheidenden 1:2 vier Minuten vor der Pause: Schroth gewann das
Kopfballduell gegen Linke und verlängerte auf Max, der Zuraw und Sievers
narrte. Die Abwehr jedenfalls blieb wie der Sturm den Nachweis der Erstligareife
schuldig. Am 0:1, dem Schock in der sechsten Minute, war jedoch mit Jiri Stajner
der trotz seines Treffers schwache Mittelfeld-Star schuld. Er hatte nach einer
Ecke von „Icke” (Thomas Häßler) Borimirov laufen und köpfen lassen.
Weissenberger glaubt zu wissen, was für 96 nun zählt: „Fighten, fighten und
nochmals fighten.” Hannover sei „zu brav” für die erste Liga, mahnte das
Schiedsrichter-Gespann nach dem Abpfiff, was von Zahlen untermauert wird: Die
96-Profis begingen nicht einmal halb so viele Fouls wie 1860 (14 zu 29).
„Sollen wir den Ball ins Tor grätschen?” fragte Rangnick jedoch. Er will
den meist attraktiven 96-Stil nicht ändern, „sonst wird es für uns noch
schwerer”. Es werde ohnehin „schwer genug” für 96. Sonntag beim ebenfalls
erfolglosen 1. FC Nürnberg „müssen wir punkten”, weiß Carsten Linke,
„sonst stecken wir auf lange Zeit unten drin”.
Die Reaktionen:
Peter Pacult, Trainer von 1860 München: Der Sieg geht auch in der Höhe in Ordnung. Ich habe meinen Spielern vor der Partie gesagt, dass wir die reifere und routiniertere Mannschaft sind, und das hat man dann auch gesehen. Rostock hat uns im ersten Spiel keine Räume gegeben, 96 schon.
Ralf Rangnick, 96-Trainer: Wir haben nun in zwei Spielen phasenweise gut gespielt, aber keinen Punkt geholt. Damit können wir alles andere als zufrieden sein. In Nürnberg müssen wir nun versuchen, uns über einen längeren Zeitraum stark zu präsentieren.
96-Sportdirektor Ricardo Moar: Es ist riesiger Mist, wenn man einen Rückstand aufgeholt hat und wenige Minuten später schon wieder in Rückstand gerät. So was tut dann grade bei so einer Hitze sehr weh.
Thomas Häßler: Riesenkompliment an die Truppe. Wir sind hier souverän aufgetreten und haben verdient gewonnen. Aber Hannover hat eine spielerisch starke Mannschaft. Sie werden in dieser Saison sicher noch für viel Furore sorgen.
Markus Schuler: Das ist wohl das Lehrgeld, das man zahlen muss. Wir haben es nicht verstanden, unsere Chancen zu nutzen. Wir müssen den entscheidenden letzten Pass besser spielen. Die Kulisse was schon geil, aber die Hitze fast unerträglich.
Danijel Stefulj: Wir spielen und spielen, und die machen die Tore. Auf der anderen Seite haben wir es nicht geschafft, aus fünf Chancen ein Tor zu erzielen.
Daniel Stendel: Natürlich haben wir uns mehr versprochen. Aber wir haben zu viele Fehler gemacht. In der ersten Halbzeit haben wir und doch zweimal fast selber einen eingeschänkt. Und bei dem Wetter ist es schwer, das aufzuholen. Jetzt müssen wir so schnell wie möglich von der Null wegkommen.
Jörg Sievers: Wir haben versucht, Druck zu machen, und haben die Partie 90 Minuten offen gehalten. Letztendlich haben wir es nur versäumt, das Tor zu machen. Klar waren auch Fehler dabei, aber Fehler gehören zum Geschäft halt dazu. Wenn wir noch den Ausgleich schießen, dann spricht keiner mehr von den Fehlern, sondern alle von einer guten kämpferischen Leistung.
Altin Lala: Wir wollten natürlich gewinnen, sind aber immer einem Rückstand hinterhergelaufen. Das hat viel Kraft gekostet. Wir müssen unsere Chancen besser nutzen. Sie Saison ist noch lang. Wir müssen nun unsere Fehler abstellen.
Ex-Nationalspieler Hans Siemensmeyer: Ich bin enttäuscht. Als Aufsteiger kann man nicht nur schönen Fußball spielen. Man muss fighten, Zweikämpfe gewinnen, dem Gegner den Schneid abkaufen. Die Münchener waren ja nicht besser. Aber die Mannschaft wird das jetzt bestimmt begreifen. Ich bin immer noch sicher, dass 96 den Klassenerhalt schafft.
Borussia Dortmunds Meisterspieler Otto Addo: Ich denke, Hannover darf jetzt nicht in Panik verfallen. Das bringt gar nichts. Ralf Rangnick ist ein guter Trainer und wird es schon richten.
Die Einzelkritik:
Jörg Sievers: Lief beim zweiten Löwen-Tor nur halbherzig raus und fing sich einen Tunnel. Aber unterirdisch war es nicht, bei Cernys Kopfball sogar hochklassig.
Steven Cherundolo: Der kleine Ami wurde von Weissenberger und Häßler allzu oft vernascht. Lief viel hinterher. Dementsprechend wenig ging er dann auch nach vorne.
Carsten Linke: Solide mit dem Kopf, vor allem bei Standards. Aber untenrum war es wenig. Verlor zu oft den Ball und Überblick.
Dariusz Zuraw: Wie schon in Hamburg eigentlich ganz ordentlich, aber wenn er schwächelt, dann entscheidend. Bevor der 34-jährige Max traf, sah Zuraw ganz alt aus.
Marc van Hintum: Hatte die deutlich zahmere Löwenseite vor sich. Und machte nichts daraus. Kam er nach vorne, waren die Flanken Käse. Raus nach 66 Minuten.
Altin Lala: Bissig wie weh und je. In Halbzeit eins auch mit feinen Pässen. Forechecking bis zur Eckfahne des Gegners. Wenigstens einer, der mal mit Fouls dazwischen haut.
Nebojsa Krupnikovic: Grätschte wieder viel, dazu viele Dribblings und Pässe. Wenn auch nicht alles klappte: Das war erstligareif. Fast logisch, dass er das 96-Tor mit feiner Aussenrist-Banane vorbereitete.
Jiri Stajner: Belohnte seinen Kampftgeist mit Kopfball über der Grasnarbe. Tauchte in Halbzeit zwei aber ab. Sollte nicht zu wild fallen, dann bekommt er bald einen Elfer.
Blaise N'Kufo: Oft gefoult. Die Anspielstation vorm Strafraum. Fehlte dann aber da, wo Tore geschossen werden. Nur zweimal gefährlich. Raus in der 74. Minute.
Daniel Stendel: Der Wühler - hatte die meisten Aktionen im eher lauen Sturm. Muss aber öfter so gefährlich flanken wie vor dem 1:1.
Markus Schuler: Kam in Minute 66 für Marc van Hintum. Pumpte schon früh nach Luft. Förderte aber mehr und gefährlichere Flanken zu Tage als sein Vorgänger.
Jiri Kaufman: 15 Minuten Mittelstürmer. Auch nicht gefährlich.
Babacar N'Diaye: Konnte in zehn Minuten nicht mehr reißen.
(Quelle: Neue Presse, 19.08.02)